Die Arbeit geht von der Beobachtung aus, dass die Subjektkultur der Jahrzehnte um 1900 weder mit den Begriffen der Bürgerlichkeit und der Verbürgerlichung noch mit dem Konzept der Arbeitsgesellschaft in befriedigender Weise beschrieben werden kann. Die Bürgertumsforschung erarbeitete wichtige Erkenntnisse über das 18. und 19. Jahrhundert; ihre Thesen zur »Moderne« hingegen blieben eher blass. Und während die arbeitsgeschichtliche Forschung die Transformationen der Arbeitswelt um 1900 breit untersuchte, wurde die Bedeutung der parallel dazu aufkommenden konsumgesellschaftlichen Phänomene bisher zu wenig zur Kenntnis genommen. Anhand von rund einhundert Tagebüchern aus dem deutschsprachigen Raum der 1840er bis 1930er Jahre verfolge ich vor diesem Hintergrund zwei Thesen: Erstens war die Moderne die Epoche der Konsum- und Arbeitsgesellschaft - eine Grundstruktur, die auch unsere heutigen Gesellschaften noch prägt. Zweitens lässt sich die konsum- und arbeitsgesellschaftliche Subjektkultur als »erlebnisorientierte« genauer fassen: Das Leben sollte vor allem Spaß machen und Abwechslung bringen - in der Freizeit genauso wie am Arbeitsplatz. Nicht zuletzt zeigt sich das Aufkommen dieser Erlebnisorientierung auch aus einer mediengeschichtlichen Perspektive. Die reflexive Arbeit an der Biografie und am Verhältnis von Selbst und Welt, die das bürgerliche Tagebuch des 19. Jahrhunderts bestimmt hatte, verlor an Bedeutung. Um 1900 wurden das Schreiben über die Erlebnisse und das Gestalten des Tagebuchs stattdessen selbst zu Praktiken der Erlebnisproduktion. Stichworte: Selbst, Moderne, Arbeit, Konsum, Bürgerlichkeit, Egodokumente
Stichworte: Selbst, Moderne, Arbeit, Konsum, Bürgerlichkeit, Tagebuch, Erlebnis