
Waffenträger. Kriegerhabitus und politische Kultur im karolingischen Europa
Research Project | 01.02.2025 - 31.01.2028
Das Projekt „Waffenträger“ zielt darauf, die politische Kultur im karolingischen Europa - einer der formativen Epochen der Schweizerischen wie westeuropäischen Geschichte - in neuer und innovativer Weise zu verstehen. Obwohl es unstrittig ist, dass Waffengewalt zu jener Zeit eine der politischen Schlüsselressourcen darstellte, fokussiert sich die Forschung derzeit auf andere Aspekte der politischen Kultur. Es dominiert die Idee eines politischen Gemeinwesens, in dem das Politische und das Religiöse stark konvergierten, basierend auf christlichen Werten und Reminiszenzen an die Antike, mit einem hochentwickelten theoretischen Diskurs und elaborierten Verfahren des Verhandelns und Entscheidens. Den Referenzrahmen dieser politischen Kultur bezeichneten die Zeitgenossen als „Kirche“ (ecclesia).Doch dieses Bild einer „karolingischen Renaissance“ des Politischen lässt sich nur schwer mit der endemischen Kriegsführung und Gewalt des 8./9. Jh.s in Übereinstimmung bringen. Dieser unerklärte Widerspruch bildet den Ausgangspunkt des hier vorgestellten Projekts. Um ihn zu verstehen und zu erklären, werden drei aufeinander aufbauende Untersuchungen durchgeführt. Die erste analysiert, wie in der politischen Theorie der Zeit über Krieg und Waffengewalt reflektiert wurde. Dabei zeigt sich, dass die religiöse Rechtfertigung dafür auf den Herrscher beschränkt war, womit die militärische Aktivität weiter Teile der politischen Eliten entweder ignoriert oder sogar diffamiert wurde. Ein anderer, konkurrierender Diskurszusammenhang über Waffengewalt scheint auf. Allerdings ist er in dem üblicherweise für politische Fragen herangezogenen Quellenmaterial kaum erkennbar, was zur zweiten Untersuchung führt, die nach den Gründen dafür fragt. Hier scheint eine mediengeschichtliche Perspektive zielführend: Der Diskurs der politischen ecclesia monumentalisierte sich in dauerhaften Medien wie (illuminierten) Handschriften, Steingebäuden und Sakralobjekten, wohingegen der konkurrierende Diskurs über Krieg und Gewalt sich in ver-gänglicheren Medien wie mündlicher Dichtung, Performanzen oder beweglichen Objekten äußerte. Seine umfangreichsten Reste finden sich in den Verhaltensformen, die Bußtexte den militärischen Akteuren zuschrieben. Aus ihnen lässt sich ein Kriegerhabitus rekonstruieren, dessen wich-tigster Aspekt im Zentrum einer dritten Untersuchung steht: das Tragen von Waffen. Wie veränderte die Waffe ihren Träger, welche Möglichkeiten eröffnete sie ihm? Anhand mehrerer Mikrostudien lässt sich nachzeichnen, dass Waffen auch außerhalb des Krieges in zahlreichen Situationen verwendet wurden und dem bewaffneten Mann Handlungsoptionen schufen, die seine unbewaffneten Zeitgenossen nicht hatten.Das Quellenmaterial ist vielfältig: jenseits zahlreicher lateinischer Texte auch Bilder, Objekte, archäologische Befunde und vernakulare Überlieferung. Um dieses Material zu interpretieren, bedarf es neben den klassischen Methoden der Geschichtswissenschaft und der auf die jeweiligen Quellen spezialisierten Nachbardisziplinen noch fortgeschrittener methodisch-theoretischer Zugänge aus der Politologie wie der Soziologie. Erste Resultate zeigen, dass die ecclesia-Politie nur eine Seite der politischen Kultur darstellte - auf der anderen stand eine klar erkennbare Kriegergesellschaft, und die politischen Akteure mussten sich in beiden Kontexten sicher bewegen. Dies hat gravierende Konsequenzen, nicht nur für unsere Vorstellung von der karolingischen Welt und den mit ihr verbundenen makrohistorischen Entwicklungen, sondern auch für allgemeinere Debatten wie die um das Verhältnis von (monotheistischer) Religion und Gewalt oder dem Platz des Militärischen in der Politik. Darüber hinaus stellt der Befund einer „Kultur ohne Monument“ im Kernbereich einer literaten Gesellschaft grundsätzliche methodische Grundannahmen in Frage und regt dazu an, das Verhältnis von Quellenüberlieferung und gelebter Vergangenheit neu zu überdenken.
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