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Heimplatzierungen ins Ausland seit 1945. Von der Wiederaufbau- zur «Entwicklungshilfe»

PhD Project
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01.02.2024
 - 31.01.2026

Die Geschichte ausserfamiliären Aufwachsens erhielt in den letzten beiden Jahrzehnten breite Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Forschung. Gross angelegte Forschungsprojekte widmen sich der Aufarbeitung dieser oft von Zwang und Gewalt begleiteten Geschichten. Wenig Beachtung fanden bislang jene Initiativen, in denen Kinder über Landesgrenzen hinweg in Erziehungsheimen untergebracht wurden. Solche Fälle sind im Vergleich zu binnenstaatlichen Heimplatzierungen nicht nur behördlich-administrativ und juristisch anders gelagert, sondern entfalten auch auf der Ebene der Betroffenen eine besondere Bedeutung, wenn sich diese als Kinder mit einer neuen soziokulturellen Umgebung konfrontiert sahen.

Darüber hinaus erscheinen Heimplatzierungen ins Ausland gegenüber Auslandsadoptionen, bei denen Kinder dauerhaft in einer neuen Familienkonstellation leben, auf den ersten Blick als weniger einschneidend. Bei einer Heimplatzierung verbleibt das Sorgerecht bei Angehörigen oder den Behörden aus dem Herkunftsland der Kinder. Eine Rückkehr ist somit juristisch möglich und konzeptuell vorgesehen. Trotz der unterschiedlichen Ausgangslagen beider Formen des Aufwachsens ausserhalb der Herkunftsfamilien im Ausland zeigen sich in der Praxis viele Parallelen. Sowohl Adoptions- als auch Heimunterbringungen ins Ausland können zur Desintegration und Abspaltung vom sozialen Umfeld und zu Identitäts- und Zugehörigkeitskonflikten führen. Das Dissertationsvorhaben wird deswegen an der Schnittstelle zwischen den Aufarbeitungsbemühungen der Heimgeschichte und der Geschichte von Auslandsadoptionen angesiedelt und möchte die beiden Forschungsfelder produktiv miteinander in Verbindung setzen.

Um Heimplatzierungen in der internationalen Kinderhilfe nach 1945 zu untersuchen, dienen die sogenannten Kinderdörfer Pestalozzi als Fallbeispiele. Dabei handelte es sich um eine nach dem Zweiten Weltkrieg in mehreren europäischen Ländern neue Form der Heimpflege für (Waisen-)Kinder. Die Studie eröffnet in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit der Frage nach der geeigneten Fürsorge und Unterbringung der vielen durch den Zweiten Weltkrieg Krieg obdach- und familienlos gewordenen Kindern. Mehrmonatige Erholungsaufenthalte für kriegsgeschädigte Kinder etablieren sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der humanitären Hilfe. Durch mehrjährige Heimplatzierungen von Kindern – ursprünglich aus europäischen und ab 1960 auch aus aussereuropäischen Ländern – eröffneten die Kinderdörfer Pestalozzi hingegen ein neues Feld humanitärer Interventionen.

Über die Funktionsweisen und Argumentarien von Heimplatzierungen ins Ausland ist bisher wenig bekannt. Die Fragestellung der Dissertation beleuchtet deswegen die Prozesse und Logiken bei der Suche und Aufnahme von Kindern in den Herkunftsländern, nach der Fremdplatzierungspraxis in einem (west-)europäischen Aufnahmeland und die oft konfliktbeladenen Rückkehrprozesse nach der Beendigung eines Pflegeverhältnisses. Anhand von Interviews zielt die Arbeit darauf ab, eine Betroffenenperspektive aufzunehmen, die in den archivierten Unterlagen weitgehend unsichtbar bleibt und in der bislang publizierten Forschung zu den internationalen Kinderdörfern übersehen wurde.

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Martin Lengwiler
Principal Supervisor